Reise-Boom in der Golfregion spielt Finanzindustrie in die Hände

Die Ölmonarchien als Tourismusmagnet: Was einst wie Utopia klang, ist heute ein fester Bestandteil in der Strategie der Scheiche, ihre Abhängigkeit vom schwarzen Gold zu mindern. Für die Finanzbranche bedeutet der orientalische Ausbau von Luftfahrt und Hotellerie gute Geschäfte, jedoch nicht für alle Marktteilnehmer.  

Von Gérard Al-Fil, Dubai

Das Scheichtum Dubai begrüsste im ersten Quartal 2025 5,31 Millionen Reisende. Damit stieg die Besucherzahl binnen Jahresfrist um 3 Prozent. Nachbar Saudi-Arabien verbuchte gar mit einem Plus von 69 Prozent im Zeitraum 2019 bis 2024 den höchsten Zuwachs an Touristen in der Gruppe der G20-Staaten. 

Auch Geschäftsreisen wachsen überdurchschnittlich stark

«Die starke Position des Nahen Ostens im globalen Tourismus wird dadurch unterstrichen, dass die Einreisen von ausserhalb der Region bis 2030 jährlich um 13 Prozent und die Geschäftsreisen ins Ausland voraussichtlich um 9 Prozent pro Jahr zunehmen werden», sagt eine von Arabian Travel Market (Dubai) veröffentlichte Studie, die von Tourism Economics erstellt wurde. Ausserdem: «Der Bereich Geschäftsreisen wächst im Mittleren Osten anderthalb Mal so schnell wie der globale Durchschnitt.»

Grund für in- und ausländische Banken und Versicherer, Finanzierungslösungen für die Tourismusindustrie zu entwickeln und einzusetzen. Von Jumbo-Krediten für neue Stadien, Anleiheplatzierungen für Airliner und Leasingmodellen für Strandbungalows bis hin zur Reiserücktrittsversicherung für den Fahrensmann – die Nachfrage für die gesamte Produktpalette der Geldhäuser wächst rasant. 

Milliarden für den Flugverkehr

Die vier grössten Fluggesellschaften der Region – Emirates, Etihad Airways, Qatar Airways und Saudia – haben bei Boeing und Airbus fast 780 Flugzeuge für die kommenden fünf Jahre bestellt. Die Emirates platziert bevorzugt Anleihen: Eine Dollar-Anleihe in Höhe von 750 Milliarden Dollar wurde beispielsweis 2013 mit einer Laufzeit von 12 Jahren platziert und unter anderem von der Deutsche Bank und Morgan Stanley gemanagt. Diese bezahlte die Airline im Geschäftsjahr 2024/2025, das am 31. März endete, pünktlich zurück.

Jetzt denkt CEO Scheich Ahmed Bin Saeed Al-Maktoum laut über einen Börsengang nach. Die Emirates plant zudem, den während der Covid-Pandemie bereits totgesagten Airbus A380 Superjumbo noch «bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts» zu nutzen, so der Scheich. Ein Langstreckenflugzeug ist für gewöhnlich mit 100 Millionen Dollar versichert, was einen steigenden Bedarf für entsprechende Assekuranzen und Rückversicherungen bedeutet. 

Dubai Scheich

Scheich Ahmed Bin Saeed Al Maktoum, Chairman und CEO von Emirates Airline, begutachtet ein Modell des neuen Flughafens Dubai Al Maktoum International. (Bild: Gérard Al-Fil)

Starten und landen müssen die Maschinen auch irgendwo. Deshalb will Saudi-Arabien mit ihrer neuen Fluggesellschaft Riyadh Air und dem geplanten vergrösserten Airport King Khaled in Riad den Flughafen DXB, also Dubai (92,3 Millionen Passagiere im 2024), bei allen Passagierrekorden ab 2030 mit bis dahin 120 Millionen Fluggästen, später 180 Millionen pro Jahr, in den Schatten stellen. Die Weltausstellung Expo 2030 in der Hauptstadt Riad und die FIFA-WM 2034 sollen dabei als Triebfedern fungieren.

Die Baubonanza geht weiter

Ohne ein international aufgestelltes Bankenkonsortium dreht sich kein Kran am Bau. Das Five Hotel auf der Palmeninsel Jumeirah wurde beispielsweise mit 300 Millionen Dollar von einer Bankengruppe finanziert, zu der unter anderem Abu Dhabi Islamic Bank und China Construction Bank gehörten.

Die Baubonanza geht weiter. Der amerikanische Konzern Wyndham wird in Saudi-Arabien bis 2035 100 neue Hotels eröffnen, während Konkurrentin Best Western sich mit 70 neuen Resorts im Königreich begnügen wird. Der erfreuliche Nebeneffekt: «Die Zahl der Neueinstellungen saudischer Frauen – nicht nur aus der Jugend, sondern in den meisten Altersgruppen – nimmt zu», weiss Nouf Alscharif, Leiterin Research bei Jadwa Investment in Riad, Saudi-Arabien. 

Alscharif: «Laut Daten zu Neuabonnements in der saudi-arabischen Sozialversicherung hat die Zahl der neuen weiblichen Abonnenten in der Altersgruppe über 30 die der männlichen Abonnenten übertroffen. Dieser Trend spiegelt wahrscheinlich das breitere Spektrum an Möglichkeiten wider, das sich in expandierenden Sektoren wie Tourismus und Sport ergibt.»

Und die Jobmaschine dreht sich weiter. Allein 24 Milliarden Dollar gibt der saudische Staatsfonds PIF für die Feriensiedlungen «Red Sea Global» am Roten Meer aus. Schon gab der Fonds am 13. Mai bekannt, man werbe aktiv um ausländische Banken als Partner, um die Finanzierung von weitere 2.400 Tourismusprojekten und 9.200 neuen Hotelzimmern im Wüstenstaat zu sichern. 

Private Banking boomt

Weil in den Golfstaaten keine Einkommen- und Vermögensteuern erhoben werden (wohl aber Unternehmens- und Mehrwertsteuern), zieht es immer mehr HNWIs aus aller Welt an den Golf. Viele von ihnen kamen einst als Ferien- oder Geschäftsreisende, schauten sich nach einer Villa um und blieben. 

Laut dem Henley Private Wealth Migration Report zog es 2023 7000 Millionäre nach Dubai. Dies bedeutet eine erhöhte Nachfrage nach First-Class-Tickets und Privatjetdiensten und einen erhöhten Bedarf im Private Banking für High Net Worths (ab einer Million Dollar) und Ultra-High Net Worths (mindestens 30 Mio. Dollar Vermögen). Der Tourismus hat viele Familien am Golf, wie die Alfuttaims in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), reich gemacht, indem sie in Hotels, Restaurants und Strandclubs investierten. Die Milliardärsfamilie Alhabtoor nennt mit Alhabtoor City in Dubai gar einen ganzen Bezirk voller Luxushotels ihr Eigen. 

Wohlhabende Touristen, die bei Immobilien beherzt zugreifen, erhalten von der Regierung ein «Golden Visa». Dieses Visum ermächtigt zu zehn Jahren steuerfreier Residenz in den VAE und kann erneuert werden, Familiennachzug inklusive. DieUBS zog jüngst Konsequenzen aus dem steten Zuzug der «Happy Few» und kündigte Ende Mai den Aufbau einer neuen Niederlassung in Abu Dhabi an. 

Neue Quellenmärkte 

«Die europäischen Quellenmärkte machen 50 Prozent aller Ferienreisen in den Nahen Osten aus, wobei Indien und Großbritannien die beiden wichtigsten internationalen Quellmärkte sind», stellt Tourism Economics fest. Dabei holt der Global Süden auf. China liegt wertmässig an dritter Stelle. Die Urlaubsausgaben werden dort bis 2030 voraussichtlich um 130 Prozent steigen. «Darüber hinaus wird erwartet, dass die Übernachtungen von Besuchern aus dem asiatisch-pazifischen Raum und Afrika sich bis 2030 mehr als verdoppeln werden», so die Studie.

Overbanked?

Banker, die sich für eine Karriere in Dubai, Doha oder Kuwait City entscheiden und jetzt ein Eldorado erwarten, sollten sich jedoch auf eine Konsolidierung des Marktes gefasst machen. „Die Konsolidierung der GCC-Banken könnte an Fahrt gewinnen, wenn niedrigere Ölpreise den Wettbewerbsdruck in der Region erhöhen”, sagt Fitch Ratings in einer Pressemitteilung vom 28. Mai. 

Analysten geben zu Bedenken, dass beispielsweise die VAE mit ihren 61 von der Zentralbank lizenzierten Banken (darunter 23 heimische Finanzinstitute) Luft für Fusionen und Akquisitionen hätte. Hinzu kommen in dem Golfstaat mit seinen 11 Millionen Einwohnern Hunderte ausländische Geldhäuser, die ihren Sitz in den Onshore-Finanzzentren DIFC in Dubai und ADGM in Abu Dhabi haben und so mit den lokalen Geldhäusern im Private Banking und Corporate Banking, nicht jedoch im Retail Banking konkurrieren dürfen. 

Krypto statt Kärtli

Ausserdem lässt die Generation Z das konventionelle Banking immer häufiger links liegen, setzt lieber auf digitales Geld und handelt und bezahlt mit demselben mittels Onlineplattformen wie Swissquote, die seit 2012 mittels einer Branch in Dubai am Golf operiert. 

Dieser Trend gilt auch für junge, kaufkräftige Touristen, die auf Reiseschecks und Wechselstuben verzichten und bevorzugt mit dem Smartphone bezahlen. Wer beispielsweise im edlen Palazzo Versace in Dubai ein Zimmer bucht, kann seinen Aufenthalt komplett mit den Kryptowährungen Bitcoin oder Ethereum bestreiten. Dafür hat die Luxusherberge mit der Kryptohandelsplattform Binance den Schulterschluss geübt. Binance-Gründer Changpeng Zhao, auch CZ genannt, lebt in Dubai. Doch der dezentrale Finanzdienstleister unterhält offiziell keinerlei Büros. Alle Mitarbeiter sind weltweit verstreut und für Binance vom Home Office aus tätig. 

Die Teile des Finanzpuzzles am Golf sind – genau wie die Gästeherbergen der Zukunft – noch lange nicht an ihrem Platz.